Das Brauchtumsschießen

 

 

Entwicklung der Schützenwaffen

 

Seit der Frühzeit der Menschheit ist die älteste Waffe der Bogen. Dieser wurde bereits bei den Griechen und Römern verwendet. Er ist neben der Schleuder die älteste bekannte Fernwaffe. Ab dem 13. Jahrhundert folge die Armbrust, die dann mehr und mehr als Jagdwaffe, aber auch zum Schutze des Bürgertums verwendet wurde. Die Reichweite der Armbrust betrug etwa 250 bis 350 Schritt. Die verwendeten Bolzen waren unterschiedlich. Es gab Jagd- und Kriegsbolzen. Die Bolzen bestanden aus der Spitze, dem sogenannten Eisen, und dem Schaft, der befiedert oder unbefiedert war. Form und Schwere der Bolzen beruhten auf sorgfältiger Berechnung. Als Behälter für die Bolzen dienten spezielle Köcher.

 

Im 16. Jahrhundert wurde die Armbrust durch die gewaltigen Fortschritte bei der Entwicklung von Handfeuerwaffen in den Hintergrund gedrängt. Nachdem man das Schwarzpulver erfunden hatte, entwickelten sich die verschiedensten Faustfeuerwaffen, zunächst die Vorderlader, dann das erste Luntengewehr. Ihm folgte im Jahre 1515 das Radschloßgewehr, welches auf dem Prinzip des Reibfeuerzeuges beruht. Eine weitere Verbesserung brachte einige Jahre später das Batterieschloßgewehr. Im Gegensatz zum Radschloß wird der für die Zündung erforderliche Funke wie beim Schlagfeuerzeug geschlagen. Zum Funkenschlagen verwendete man einen Feuerstein.

 

Mit der Erfindung des Knallquecksilbers wurde im Jahre 1818 das erste Zündhütchen, ein Kupfernäpfchen, welches den hochempfindlichen Zündsatz enthält, entwickelt. Damit wurde eine neue Epoche in der Entwicklung der Handfeuerwaffen eingeleitet und zwar zuerst durch das Perkussionsgewehr. Bei diesem wird die Pulverladung durch das Abschlagen eines Zündhütchens gezündet. Das Perkussionsgewehr war das letzte Modell in der Reihe der Vorderlader. Es wurde bis etwa 1866 beim Militär verwendet.

 

Eine grundlegende Neuerung war die Erfindung des Zündnadelgewehrs durch den Thüringer Schlosser N. Dreyse. Dieses Gewehr wurde von hinten geladen. Verwendet wurde eine Einheitspatrone, die aus einer Papierhülse, Pulver, Zündspiegel und einem 31g schweren Weichbleigeschoß bestand. Geschoß, Treibspiegel, Zündpille und die Schwarzpulverladung von 4,85g wurden von einer an der Geschoßspitze zusammengebundenen Papierhülle umschlossen. Die Zündung der Patrone erfolgte durch eine Zündnadel, die beim Abfeuern des Gewehrschlosses in die Zündpille vorschnellte. Das Zündnadelgewehr wurde 1841 in der preußischen Armee eingeführt. Es ist im Laufdurchmesser, der Pulverladung von 4,85g und Geschoßgewicht mit den noch heute in unserer Bruderschaft zum Vogelschießen verwendeten Donner-büchsen von Kaliber 20 vergleichbar.

 

Eine entscheidende Verbesserung des Zündnadelgewehrs gelang den Gebrüdern Mauser. Sie ersetzten die durch den Abbrand gefährdete Zündnadel durch einen Schlagbolzen und die Papierpatrone durch eine Messinghülse mit Zündhütchen in der Bodenkappe. Das Mausergewehr wurde im Jahre 1871 in der preußischen Armee als Ordonnanzwaffe eingeführt. Da es so präzise und zuverlässig ist, wird es in abgeänderter Form auch heute noch hergestellt. 

 

Das Vogelschießen in der Bruderschaft

 

Im Jahre 1849 wurde die St. Gereon-Schützenbruderschaft Vettweiß-Kettenheim e.V. gegründet.

 

Wie aus vorstehender Zeitungsanzeige, dem ältesten schriftlichen Nachweis unserer Bruderschaft, zu ersehen ist, führte die „neue Bruderschaft“ im Rahmen der am 14. Oktober 1849 stattfindenen Kirmes ein Vogelschießen durch. Das Vogelschießen, ein sehr alter Brauch, dessen Ursprung bis heute noch nicht eindeutig ermittelt werden konnte, war damals sehr beliebt, regte zum Nacheifern an und brachte den Schützenvereinen großen Zulauf.

 

Neben der Schießkunst, welche einen hohen Stellenwert hatte, waren die Ziele der Bruderschaften kirchlicher und religiöser Art (Ehrendienste bei vielen kirchlichen Veranstaltungen) sowie die Förderung der Geselligkeit.

 

In den folgenden Jahren nach der Gründung erfreute sich der Vogelschuß, wie aus Zeitungsveröffentlichungen zu ersehen, in unserer Bruderschaft wachsender Beliebtheit. So wurden bereits am 16. Juli 1851 ein Brudervogel = Königsvogel für Mitglieder und ein Nebenvogel, auf den jedermann schießen durfte, in Verbindung mit einem erstmalig erwähnten Schützenfest ausgeschossen. Der Bruderschafts-/Königsvogel wurde nach bestimmten Vorschriften, die auch heute noch gelten, aus Holz angefertigt. Dabei dürfen weder Schrauben noch Nägel verwendet werden. Schützen-könig ist derjenige, der das letzte Stück Holz des Vogels von der etwa 12 Meter hohen Stange schießt. Wie aus den Unterlagen der Bruderschaft hervorgeht, erfreute sich das Vogelschießen immer größerer Beliebtheit. Anläßlich des Schützenfestes vom 1. Juli 1855 wurde neben dem üblichen Vogelschießen ein Sternvogelschießen durchgeführt. Um den regen Andrang der Teilnehmer zu beschränken, wurde das Ziehen der Lose auf eine halbe Stunde festgesetzt.

 

Am 5. Juli 1857 wurde das Schützenfest zum ersten Mal mit Zapfenstreich und Böllersalven eingeleitet. Für das Schießen auf Preis-, Hauptpreis-, Königs- und Sternvögel waren nur Bleigeschosse mit einem Gewicht bis zu zwei Lot = 33,3g erlaubt. Erstmalig wurde beim Schützenfest des Jahres 1863 ein Adlerschießen erwähnt.

 

Die Schützen schossen nicht nur um der Ehre willen, sondern auch um Geld- und Sachpreise. So wurden beim Schützenfest des Jahres 1865 beim Schießen der Hauptpreisvögel eine goldene Zylinderuhr, Kristallgläser mit goldenem Deckel sowie goldene Medaillen ausgeschossen. Beim Adler- und Sternenvogel waren in der Regel Geldpreise ausgesetzt. Der Hauptpreisvogel des Jahres 1896 beim Scheibenschießen brachte dem glücklichen Sieger die beachtliche Summe von 300 Mark ein.

 

Auf Sicherheit wurde beim Schießen immer besonderer Wert gelegt. Bereits im Jahre 1911 verfügte die Bruderschaft über einen Hochvogelstand mit Kugelfang, der den damaligen Sicherheitserfordernissen entsprach.

 

Im Jahre 1919 verfügte die englische Besatzung die Beschlagnahme sämtlicher Waffen, zu denen auch die Schützenbüchsen gehörten. Nach der Verwaltungsverordnung Nr. 2 vom 08.01.1919 des Brigadegenerals W.G. Bronthwaite C.B. an die Bürgermeister waren alle Waffen und Munition abzugeben. Jede Person, in deren Besitz Waffen und Munition gefunden wurden, hatte mit strenger Bestrafung zu rechnen. Die Vettweißer Schützen haben dieser Verordnung nicht entsprochen.

 

In den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg war das Schießen mit Feuerwaffen verboten. So wurde der Königsvogel im Jahre 1949 mit der Armbrust ausgeschossen. Beim Bundesschützenfest im Jahre 1950 waren die über die Kriegsjahre geretteten Büchsen wieder im Einsatz. Das erforderliche Schwarzpulver wurde auf illegale Weise aus dem nahen Ausland besorgt. Erst ab dem Jahre 1964 war Schwarzpulver für Wiederlader über einen Sprengstoffschein käuflich zu erwerben.

 

Die Büchsen der Bruderschaft und die Schießmeister

 

Die Vogelbüchsen unserer Bruderschaft sind großkalibrige Waffen mit einem Gewicht von 7 bis 10 kg. Bis vor dem zweiten Weltkrieg sah man sie vielfach auf Schützenständen und Schützen-festen. Die letzte serienmäßige Herstellung fand in den Jahren 1929 bis 1931 statt. Es waren Büchsen im Kaliber 16 und 20 mit Mauserverschluß und gezogenem Lauf von ca. 80 cm Länge. Als Zielvorrichtung dient Kimme und Korn. Die Schaftform ist der klassische, sehr schwere und massive Scheibenbüchsenschaft. Heute werden solche Büchsen nur noch von einer belgischen und einer deutschen Firma in Einzelanfertigung hergestellt. Unsere Bruderschaft kann glücklich sein, daß sie noch Eigentümer von sechs solchen wertvollen alten Waffen ist. Zwei weitere Büchsen befinden sich im Privateigentum von Schießmeistern unserer Bruderschaft.

 

Die Munition für diese Büchsen wird nach alter, überlieferter Tradition vom amtierenden Schießmeister angefertigt. Verwendet werden Messinghülsen, Zündhütchen, Schwarzpulver und Bleigeschosse spezieller Zusammen-setzung, die mit Geschoßwachs ummantelt werden.

 

Der Königsvogel sowie die Preisvögel und Hauptpreisvögel werden ausschließlich mit den Vogelbüchsen, die übrigen Vögel sowie sämtliche Pfänder mit dem Kleinkalibergewehr geschossen.

 

Für den Vogelschuß wurden in den Anfangsjahren unserer Bruderschaft Perkussionsvorderladegewehre, wie sie auf unserer ältesten Fahne aus dem Jahre 1879 abgebildet sind, verwendet. Abgelöst wurden diese nach 1880 durch die noch heute verwendeten und im Eigentum der Bruderschaft befindlichen Büchsen, die teils in Lüttich und teils in Suhl hergestellt wurden.

 

Die St. Gereon-Schützenbruderschaft Vettweiß-Kettenheim e.V. hat die vorhandenen wertvollen Waffen in den Jahren 1964 und 1987 von der Familie B. Brandenburg erworben.

 

Die Schießmeister unserer Bruderschaft

 

Ab         1880 – 1930     Hubert Brandenburg

              1931 – 1964     Bernhard Brandenburg

              1965 – 1978     Hermann Falkenberg

              1979 – 1998     Gabriel Falkenberg

seit        1999 – heute   Franz Courth

 

Am Ende meiner Ausführungen, die keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit erheben können, möchte ich mich, auch im Namen aller Schützenbrüder, bei Familie Brandenburg sehr herzlich bedanken. Sie hat diese Waffen sicher über die Kriegswirren zweier Weltkriege gerettet. Somit sind wir in der glücklichen Lage, auch heute noch den Vogelschuß nach alter Väter Sitte und auf historische Art und Weise durchführen zu können.

 

Ein weiterer Dank gilt meinem Bruder Hermann, der am 11.03.1997 in Altea, Spanien, verstarb. Er hat der Bruderschaft nach dem zweiten Weltkrieg unter schwierigen Bedingungen das für die Aufrechterhaltung des Brauchtumsschießens erforderliche Schwarzpulver immer wieder besorgt. Nicht zuletzt danke ich meinem Schützenbruder Wilhelm Klösgen, der mir am Vogelstand stets treu und hilfsbereit zur Seite stand.

 

Gabriel Falkenberg